Seit 1994 macht Svenja John Schmuck. In Berlin. Und seither benutzt sie Makrofol, ein zu Folie gezogenes Polycarbonat. Und von Anfang an ist ihr Schmuck –zusammengesteckt. In ausgeklügelter Technik erfindet sie Formmodule, die sie aneinander reiht und ineinander hängt, miteinander verschachtelt, zusammenhäuft. Es entstehen halbopake Cluster und Gefüge, die an naturwissen-schaftliche Modelle, an kristalline, aber auch organische Strukturen erinnern. Ein Atommodell? Ein Versuch, astronomische Umlaufbahnen darzustellen? Stilisierte Blüten oder Anspielungen auf facettegeschliffene, edle Steine?
Alles nur Plastik. Und zwar hochkomplex. Handkoloriert, aus dem Material ausgeschnitten und mit formlogischen, ebenso perfekten Befestigungsmechanismen oder Aufhängungen versehen. Nichts bleibt undurchdacht, Sorgfalt und manische Detailliebe durchdringt jede Verbindungsstelle. Undurchschaubar kompliziert wirkt, was vor Johns geistigem Auge entsteht, „Bilder, die ich nachbaue“, wie sie sagt. So konzipiert sie ganze Kollektionen.
John lebt in einer Metropole. Romantik ist ihre Sache nicht. Wertesysteme überleben sich hier täglich. Schmuck ist eine Reaktion auf Realität, trägt Lebensgefühlen Rechnung. Die Geschichten, die man sich hier heute erzählt, klingen anders. Wenn sie auch der gleichen Sehnsucht entspringen mögen. Nach Schönheit, Einmaligkeit, Leichtigkeit, nach Staunen, nach Wundern. Johns Schmuck birgt all dies in sich.
Text zur Kollektion
Da liegt er und ist ganz anders. Neuer Schmuck von Svenja John. Die Fläche als Thema scheint verschwunden. Die Stücke sind konsequent strukturbetont. Außerdem gibt es plötzlich Geräusche: Trägt man die Stücke, klappert, klimpert und klickt es leise. Und merkwürdig: Obwohl die einzelnen Elemente starrer, unbeweglicher geworden sind, sind die Schmuckstücke als Ganzes reaktionsfreudiger, quecksilbriger, flexibler. –
John hat bei ihrem neuen Autorenschmuck ihr Material Makrofol in zuletzt ungewohnter Stärke, nämlich bis zu viermal so dick, verwendet. Und ist andererseits von einem flächigen, volumenschaffenden Stecksystem zu einer Vorgehensweise gelangt, die ein lineares, additives Aneinanderfügen, das Prinzip der Kette und ihrer Glieder, nach vorne stellt. Das an beiden Enden verdickte Blättchen – Piktogram eines Knochens - bleibt wichtiges und wiederkehrendes Gestaltungselement. Aber jetzt - gedoppelt und kreuzweise zusammengesteckt – ist der sogenannte X-Bone stabilisierendes Kernstück in einem weitaus luftiger gewordenen Gefüge, was durch Ringe unterschiedlicher Größe aneinander hängt.
Der Kunststoff wird nach wie vor weitgehend geschmirgelt und monochrom koloriert. Doch ist die Schnitttechnik bei dem stärker gewordenen Material nicht mehr manuell, sondern wird mittels Wasserstrahl maschinell vorgenommen. Die Profile sind von wiederkehrender Exaktheit und die präzise gesägten, breiter gewordenen Schnittflächen treten mit einer eigenen Charakteristik auf. Sowohl die Präzision der Kanten wie das massiver gewordene Material wirkt sich entscheidend auf Duktus und Aussage der Schmuckstücke aus. Ein sachlicherer, weniger malerischer Charakter ist das Resultat.
Dem Licht fällt nun eine gänzlich neue Rolle zu. Die Glieder wirken opak, die Organisation der Stücke betont die Flexibilität anstelle einer flächigen Rhythmisierung. Licht illuminiert und moduliert nicht länger transluzide, farbige Flächen, sondern liegt als Glanzpunkt auf Ecken und Kanten des Schmuckes, der sich mit dem Körper dreht und wendet. War Johns Schmuck früher von edler Mattheit, mischt sie nun glänzende und mattierte Kunststoffoberflächen, was mit der gesteigerten Reaktionsfreudigkeit der Stücke dazu führt, dass der Schmuck aufblitzt und glitzert, wenn er sich im Licht bewegt.
Die neue Kostbarkeit ist lakonischer, fast skelettiert, weniger lyrisch. John zitiert nicht mehr auf die ihr eigene nonchalante Weise die Pracht des facettegeschliffenen, edlen Steines. Jetzt spielt sie viel eher auf die Wertigkeit und Wirkung des Materials an sich an. Der Körper, die Kleidung der TrägerInnen spielt eine andere, neue Rolle. Johns Schmuck ist immer ein pointierter Kommentar, eine seismographische Stellungnahme zum Jetzt. In diesem Fall entfaltet er seine Wirkung in der Kommunikation und seine wahre Potenz und Schönheit in der Reaktion. Er symbolisiert die Abhängigkeit der Systeme. Die Welt rückt zusammen.